Dienstag, 22. November 2011

Ein offener Brief an Herrn Christophe Darbellay

Sehr geehrter Herr Nationalrat Darbellay,

Mit grossem Unverständnis habe ich Ihre Aussage gegenüber der Zeitung "Le Temps" gelesen, in welcher Sie sich gegen das Adoptionsrecht für homosexuelle Paare aussprechen und Ihre Parteimitglieder, die anderer Meinung sind, kritisieren. Auf das Argument der ständerätlichen Kommission, die für die Adoptionsrechte homosexueller Paare ist, dass es schon viele Kinder gibt, die bei homosexuellen Eltern aufwachsen, diese aber rechtlich nicht geschützt sei, antworten Sie mit den Worten "man legalisiert Kokain auch nicht nur weil es 500'000 Konsumenten gibt!"

Ich sehe schon, der Kampf um Adoptionsrechte geht langsam los. Nachdem die ständerätliche Kommission vom Bundesrat die Adoptionsrechte fordert (mit keiner Gegenstimme), versuchen es die Gegner mit einen Gegenangriff. Dass die Gegner von Adoptionsrechten keine Argumente haben, überrascht nicht. Wie primitiv ihre ablehnenden Begründungen sind, erstaunt aber doch.

Gerade Sie, Herr Darbellay, als CVP-Präsident und somit Präsident einer Partei, die sich als Familienpartei sieht, haben den Nerv, ca 30'000 Kinder mit Kokain zu vergleichen. Es ist nämlich ein Fakt, dass heute bereits bis zu 30'000 Kinder bei homosexuellen Elternpaaren aufwachsen und in einer rechtlich unsicheren Situation leben. Dass sämtliche Erfahrungen beweisen, dass Kinder bei homosexuellen Eltern gut aufwachsen, habe ich bereits Ihrem Nationalratskollegen Christian Wasserfallen erklärt (falls Sie die Fakten interessieren, hier klicken).

Als Präsident einer Familienpartei stellen Sie sich also nicht nur gegen das Kindeswohl, sondern stellen einen absurden und beleidigenden Vergleich an. Wissen Sie, Herr Darbellay, die Zeiten, in welchen man gewisse Familien als mehr wert als andere angesehen hat, erinnern an düstere Zeiten und sind endgültig vorbei. Sie können sich so abfällig über Regenbogenfamilien äussern wie Sie wollen, sie existieren trotzdem und sind kein Bisschen weniger wert, als Familien, die Ihrem ewiggestrigen Bild, wie eine perfekte Familie auszusehen hat, entsprechen!

Dabei wissen Sie doch ganz genau, dass Sie auf der falschen Seite der Geschichte stehen. Genauso wie jene auf der falschen Seite der Geschichte gestanden sind, die sich gegen ein Frauenstimmrecht in der Schweiz ausgesprochen haben, in den USA die Ehe zwischen Schwarzen und Weissen nicht zulassen wollten oder in Südafrika den Schwarzen kein Stimmrecht gewähren wollten. Denn unsere Gesellschaft entwickelt sich. Schwule und Lesben wird es immer geben, immer mehr Leute kennen homosexuelle Paare und wissen, dass diese gute Eltern sein können. Und auch die Zahl der Kinder homosexueller Eltern wird laufend zunehmen. Auf der ganzen Welt werden Adoptionsrechte laufend eingeführt werden und es werden weitere Gerichtsurteile, wie jenes des europäischen Menschenrechtshof folgen, das urteilte, dass ein Adoptionsverbot diskriminierend sei. Das wissen Sie doch so gut wie ich, auch wenn dies vielleicht im Wallis, also jener Kanton, für welchen Sie im Nationalrat sitzen, noch lange nicht mehrheitsfähig ist. Natürlich müssen Sie dafür sorgen, dass die heile katholische Welt im Wallis in Ordnung bleibt, schliesslich stehen die Zeichen auch dort auf Sinkflug für Ihre Partei (bei den letzten Wahlen hat Ihre Partei 3% Wähleranteil und einen Sitz verloren) und es ist auch noch nicht allzu lange her, dass ein Walliser CVP Politiker aufgrund seines Kokain-Videos, das seine betrogene Ex-Freundin den Medien zugespielt hat, schweizweit in die Schlagzeilen geraten ist (umso erstaunlicher, dass Sie nicht ein wenig mehr Sensibilität zu diesem Thema an den Tag legen, Herr Darbellay).

Auch wenn die Umfragen in der Schweiz zeigen, dass eine Mehrheit der Bevölkerung Adoptionsrechte für homosexuelle Paare befürwortet, werden die Walliser wohl weiterhin gegen ein Adoptionsrecht sein. Leider, denn sonst würden Sie Ihre Meinung bestimmt ändern (wie wir bei den Atomfragen, Paralellimporten oder Bankenfragen gesehen haben). Und leider verfügen wir Befürworter der Adoptionsrechte auch nicht über 150'000 Franken, die wir Ihnen spenden können, damit Sie Ihre Meinung ändern (wie Sie dies damals nach der grosszügigen Spende der UBS getan haben).

Insofern leuchtet es ein, dass Sie nun auf einen billigen Populismus-Zug aufspringen und versuchen, Ihre davonlaufende Wählerschaft bei Stange zu halten. Vielleicht hoffen Sie aber auch nur, das nächste Mal von der CVP für den Walliser Staatsrat nominiert zu werden, nachdem das 2009 nicht geklappt hat. Nun, einen Unterstützer haben Sie ja in mir schon beinahe gewonnen; es ist mir nämlich lieber, wenn Sie mit solchen Ansichten hinter den Walliser Bergen, statt im Schweizer Parlament politisieren. Daher jedem seine Art zu politisieren. Wenn Ihr Populismus aber beginnt, Familien zu treffen und dem Kindeswohl zu schaden, hört der Spass jedoch auf! In diesem Thema ist es immer dasselbe: Man schiesst gegen homosexuelle Paare, trifft aber die Kinder! Dabei frage ich mich gerade auch aus christlicher Nächstenliebe, wie man solche Einstellungen haben kann, bei all dem Elend auf der Welt. Es gibt auf dieser Welt unzählige Kinder, die ohne Eltern aufwachsen müssen, Kinder die hungern und kein richtiges zu Hause haben, die nie in den Genuss von Elternliebe kommen werden. Wie kann einem Menschen, der Nächstenliebe gross schreibt, das Schicksal dieser Kinder weniger wert als sein Familienbild sein? Dass einem ultrakonservativen Fundamentalisten das egal ist, kann man nachvollziehen. Bei Ihnen, der sich als junger, moderner, familienfreundlicher CVP Politiker zu verkaufen versucht, ist das aber unverständlich. Obwohl... irgendwie passt es auch zu Ihrem Abstimmungsverhalten im Nationalrat, schliesslich haben Sie vor ein paar Jahren gegen eine historische Aufarbeitung der Schicksale von Verdingkinder in der Schweiz gestimmt. Vielleicht ist Ihr Etikett "familienfreundlich" doch nur ein Schwindel.

Nachdem Sie für Ihre Aussage kritisiert wurden, haben Sie nun gesagt, dass Sie niemanden beleidigen und nur aufzeigen wollten, dass weil etwas existiert, es nicht legal sein muss. Mal ganz abgesehen davon, dass man in der Schweiz ungefähr mit den gleichen Argumenten das Frauenstimmrecht bekämpft hat, macht dies Ihre Aussage nicht besser, denn Sie bezeichnen Kinder noch immer als "etwas". Aber ich verstehe schon, was Sie meinten und sehe das ja teilweise ähnlich. Ich meine, nur weil Deppen existieren, heisst das auch nicht, dass man deren dumme Aussagen akzeptieren muss (was auch nicht beleidigend gemeint ist, sondern lediglich den Grund meines Schreibens erklärt). Dass Sie aber auf Argumente zurück greifen mussten, die beleidigend sind, erstaunt nicht, es ist auch schwierig sachliche Argumente vorzubringen, wenn es schlicht keine gibt.

Daher mein Rat an Sie: Kümmern Sie sich bitte weiterhin um weltbewegende Themen wie das Burkaverbot, das Sie öffentlich gefordert haben. Suchen Sie weiterhin nach Antworten, wieso Sie sich gegen Kopftücher bei Musliminnen, nicht aber bei Nonnen sind. Das sind Ihre Kernthemen, bitte bleiben Sie dabei und lassen Sie die Finger von Regenbogenfamilien. Lassen Sie zu, dass die wahren Familienpolitiker Ihrer Partei im Parlament für Adoptionsrechte und somit familienfreundlich stimmen können. Wenn Ihnen Ihre davonlaufende Stammwählerschaft im konservativen Wallis wichtiger ist, können Sie im Nationalrat dagegen stimmen, so viel Sie wollen, aber schweigen Sie einfach besser, statt wehrlose Kinder zweier liebender Eltern mit Drogen zu vergleichen. Sonst verspielen Sie nicht nur Ihre Glaubwürdigkeit, sondern auch Ihre persönliche Integrität!

Freundliche Grüsse
Alan David Sanginés

1 Kommentar:

  1. Super Beitrag! Es sollte mehr wie Sie geben. Danke für Ihren Einsatz.

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